Diskussion: Besserer Zugang zu innovativen Therapien

Lesedauer beträgt 3 Minuten
Autor: Christian Scherl/Die Presse
Dieser Beitrag erscheint in Kooperation mit:

Gerade, weil die Herausforderungen bei der Forschung zu seltenen Erkrankungen so groß sind, braucht es ein globales Zusammenspiel der Expertenzentren, um die medizinische Versorgung zu verbessern.

Seltene Erkrankungen, auch „Orphan Diseases“ bezeichnet, stellen in Österreich ein bedeutendes medizinisches und gesellschaftliches Thema dar. Diese Krankheiten betreffen jeweils nur eine kleine Anzahl von Menschen, was zu einer Vielzahl von Herausforderungen für Betroffene, deren Familien und das Gesundheitssystem führt. In Europa gelten Krankheiten als selten, wenn sie weniger als fünf Personen pro 10.000 Einwohner betreffen. In Österreich sind schätzungsweise fünf bis acht Prozent der Bevölkerung, bzw. rund 400.000 Menschen von einer seltenen Erkrankung betroffen.

Die Diskussionsrunde (v.l.n.r.): Eva Komarek („Die Presse“), Christian Gruber-Ghielmetti (Johnson & Johnson Innovative Medicine Austria), Evelyn Walter (IPF – Institut für Pharmaökonomische Forschung), Till Voigtländer („JARDIN“ ), Christiane Druml (Österreichische Bioethikkommission im Bundeskanzleramt) und Alexander Biach (Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen)

Die Diagnose seltener Erkrankungen gestaltet sich oft schwierig und langwierig, da viele dieser Krankheiten unbekannt sind oder (noch) nicht ausreichend erforscht wurden. Der Mangel an Informationen und personalisierten Behandlungsmethoden führt häufig zu einer unzureichenden medizinischen Versorgung.

Im „Presse“-Branchentalk erörterte eine hochkarätig besetzte Diskussionsrunde, wie es um Forschung und Zugang zu innovativen Therapien gegen seltene Erkrankungen bestellt ist und wie Patienten besser versorgt werden können. Dazu begrüßte Eva Komarek von der „Presse“ Christiane Druml, Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission im Bundeskanzleramt und Inhaberin des UNESCO-Lehrstuhls für Bioethik an der Med­Uni Wien, Evelyn Walter, Geschäftsführerin und Gründerin von IPF – Institut für Pharmaökonomische Forschung, Alexander Biach, Generaldirektor der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, Christian Gruber-Ghielmetti, Medical Affairs Director bei Johnson & Johnson Innovative Medicine Austria, und Till Voigtländer, Professor an der Medizinischen Universität Wien, Klinik für Neurologie in der Abteilung Neuropathologie und Neurochemie.

Für gerade einmal rund fünf Prozent der Menschen, die an seltenen Erkrankungen leiden, gibt es spezifische Therapien. Bei der Erforschung zeigen sich große Hürden, wie Gruber-Ghielmetti verdeutlichte: „Oft dauert es sehr lange, bis Patienten mit einer seltenen Erkrankung die Diagnose erhalten. Dies verzögert nicht nur die Behandlung bzw. limitiert den Behandlungserfolg, sofern eine Therapie bereits zur Verfügung steht, sondern auch den Einschluss von Patienten in klinische Studien, ohne die kein Arzneimittel zugelassen und auf den Markt gebracht werden kann. Seltene Erkrankungen sind meist sehr komplex, oftmals genetischer Natur und daher herausfordernd für die Diagnose und auch für die Forschung. Investitionen und das unternehmerische Risiko sind hoch. Auch wenn erste Forschungsergebnisse zu einem Wirkmechanismus vielversprechend scheinen, kann sich das in größer angelegten Studien noch ändern und viele Substanzen schaffen es nicht bis zur Marktreife. Selbst wenn die neue Therapie zugelassen ist und erstattet wird, ist das Marktpotenzial aufgrund der geringen Patientenzahl und späten Diagnose beschränkt.“

Und trotzdem geht Johnson & Johnson das Risiko ein und forscht intensiv im Bereich Rare Diseases. „Unser wissenschaftlicher Anspruch und unsere Unternehmenswerte geben vor, Innovation dort voranzutreiben, wo großer medizinischer Bedarf besteht.“

Auch abseits der Forschung der Pharmaindustrie zeigen sich Fortschritte. Druml erwähnte etwa das Neugeborenenscreening. „Ein einziger kleiner Blutstropfen aus der Ferse eines neugeborenen Kindes ermöglicht die Diagnose von einer ganzen Reihe von Erkrankungen, wo man, wenn man es weiß, dass ein Kind eine derartige Erkrankung hat, sehr viel tun kann, damit das Kind nicht leidet, sondern ein gutes Leben führen kann. Das ist etwas ganz Wichtiges und ich glaube, alle Eltern sollten froh sein, dass es so etwas in Österreich gibt.“ Des Weiteren ist es so, dass seltene Erkrankungen immer stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt sind. „Wir wissen, dass es viele Erkrankungen gibt, die nur sehr wenige Menschen betreffen, aber dass es dennoch wichtig ist, in einem solidarischen Gesundheitssystem auch für diese Menschen die bestmögliche Diagnostik und Therapien anzubieten“, sagt Druml.

Therapien gegen seltene Erkrankungen sind aufgrund der beschriebenen Herausforderungen komplex und kostenintensiv in der Forschung und Entwicklung.

Je mehr bürokratische Hürden entstehen, um Patienten innerhalb und außerhalb von Studien mit innovativen Arzneimitteln zu versorgen, umso weniger Forschung wird lokal betrieben werden können und umso weniger Behandlungsoptionen stehen letztendlich zur Verfügung.

Auch Voigtländer bestätigte, dass sich die Forschung zu seltenen Erkrankungen kontinuierlich weiterentwickelt. „Wir beschäftigen uns schon seit zwanzig Jahren intensiv mit dem Feld. Es sind trotzdem immer wieder dieselben Fragestellungen, mit denen man weiterhin konfrontiert ist“, sagt Voigtländer. Ein zentrales Problem ist, dass es nur für eine kleine Anzahl dieser Erkrankungen spezifische Therapien gibt. Viele Betroffene erhalten zwar symptomatische Behandlungen, jedoch fehlen gezielte Therapieansätze, die wichtig wären, um Betroffenen eine Perspektive zu geben. Deshalb bedarf es Referenzzentren. Aktuell koordiniert Voigtländer die Europäische Joint Action on Integration of European Reference Networks into National Healthcare Systems – genannt „JARDIN“, wie das französische Wort für „Garten“. „Wir wollen etwas entwickeln, was blüht und uns in den nächsten zehn Jahren hilft, die Landschaft für seltene Erkrankungen quer durch Europa besser zu gestalten. Sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für Ärztinnen und Ärzte. Dieses Joint Action mit mehr als 60 Partnern koordinieren wir von Wien aus“, erklärt der Professor. Ziel von Jardin ist der Zusammenschluss von Expertisezentren zu einem europäischen Referenznetzwerk.

Mit Zunahme der Präzisionsmedizin, das sind personalisierte Therapien, wirkt sich das ebenfalls auf die Forschung der Orphan Diseases aus. Aber auch künstliche Intelligenz (KI) spielt eine zukunftsweisende Rolle in der Forschung zu Therapien für seltene Erkrankungen, da sie große Datenmengen schnell analysieren kann. Gesundheitsdaten sind oft in elektronischen Akten gespeichert, die zwar von Ärzten genutzt werden, aber nur schwer anonymisiert ausgewertet werden können. Für seltene Erkrankungen, die oft nur wenige Patienten betreffen, ist es wichtig, diese Daten über Ländergrenzen hinweg zu sammeln und zu analysieren. Dies würde helfen, einen besseren Überblick über diese Erkrankungen zu erhalten. Mithilfe von KI können dann gezielte Vorschläge für Diagnosen gemacht werden, was die langen und komplexen Diagnosezeiten verkürzen könnte. So wird es möglich, schneller und effizienter zu diagnostizieren.

Kosten verschieben sich

„Wir geben in etwa in der Sozialversicherung 4,8 Milliarden Euro für Medikamente aus, für Spitäler kommen nochmal um die 1,3 Milliarden hinzu, was infolge eine Summe von rund 6,1 Milliarden Euro ergibt, die im Bereich der Medikamente ausgegeben werden“, klärt Generaldirektor Alexander Biach auf. „Und das Interessante ist, dass für zehn Prozent der Patienten rund zwei Drittel dieser Mittel aufgewendet werden. Darunter fallen auch die Rare Diseases.“ Das sind große Kosten für die Sozialversicherung und deshalb wünscht sich Biach eine gute Absprache mit den Bundesländern und Spitälern, um die Finanzierung zu stemmen. Biach empfiehlt, auch die Nebeneffekte der Forschung an Therapien für seltene Erkrankungen im Auge zu behalten. „Wir betrachten zunehmend die Medikamentenversorgung, aber auch die Forschung und Entwicklung und Zulassung aus einem gesamtvolkswirtschaftlichen Blickwinkel.“ Beginnend von verhinderten Folgekrankheiten über weniger Krankenstandtage, weniger Erwerbs- und Berufsunfähigkeitspensionen bis hin zu weniger Pflegebedarf. „Zusätzlich wirken lokale Forschung und Entwicklung positiv auf den Standort Österreich im Hinblick auf hochqualifizierte Arbeitsplätze, Wissenstransfer und Wertschöpfungseffekte für die Volkswirtschaft“, sagt Evelyn Walter und beobachtet den Trend, dass die Studienanzahl eher zurückgeht und betonte, dass trotz der hohen Kosten die Innovationen nicht gestoppt werden dürfen und auch der Zulassung keine Steine in den Weg gelegt werden sollten: „Der Zugang zum Patienten soll gegeben sein, um den Innovationsfluss fortschreiten zu lassen. Weil wir haben fast in allen Bereichen Schrittinnovationen, die uns dann über kurz oder lang weiterbringen.“

Das konnte Gruber-Ghielmetti nur unterstreichen: „Ein guter Standort muss innovationsfreundlich sein.“ Dass Österreich hier durchaus ein attraktiver Standort ist, zeigt die Tatsache, dass Johnson & Johnson Österreich in der internen, globalen Rangordnung des Konzerns erst kürzlich als Kernland für klinische Studien aufgenommen worden ist. „Wir haben derzeit rund 30 klinische Studien in Österreich und bauen laufend aus.“ Will man auch zukünftig Kernland bleiben, müssen die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung in Österreich attraktiv bleiben.

Autor: Christian Scherl/Die Presse. Dieser Beitrag wurde zuerst am 8. November 2024 auf www.diepresse.com veröffentlicht.

Information

Der Branchentalk „Innovationen bei seltenen Erkrankungen“ wurde von der „Presse“ veranstaltet.
Mit finanzieller Unterstützung von Janssen-Cilag Pharma GmbH, a Johnson & Johnson company.

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