Lisz Hirn: "Maschinen allein werden uns diese Entscheidungen nicht abnehmen"

Lesedauer beträgt 3 Minuten
Autor: Scho

Die Philosophin Lisz Hirn hielt die Eröffnungsrede auf dem Österreichischen Gesundeitswirtschaftskongress 2025. Im Interview spricht sie über die Grenzen von Technik und Forschung, Dystopien und den Mensch als Wesen mit Schwächen.

Wir leben in technologisch sehr turbulenten Zeiten. Wo orten Sie denn die Grenzen von Technologie? Beziehungsweise: Inwieweit können technologische Entwicklungen denn auch zu einem Fluch werden?
Lisz Hirn:
Ich glaube, neben all den Vorteilen, die die technologischen Entwicklungen haben – und das ist ja unbestritten – sollte man nicht diesem Schein erliegen, dass sich deshalb alle ethischen Fragestellungen lösen. Sie werden viel eher sogar noch mehr auf die Spitze getrieben. Also die Frage: Was dürfen wir tun? Sollen wir alles tun, was wir jetzt schon können? Wie verändern wir auch unser Verständnis vom Menschen, wenn wir einfach in den Organismus eingreifen? Aber auch: Was ist, wenn wir menschliche Arbeitskräfte ersetzen? Wie wird sich unser Verhältnis verändern im Pflegebereich. Also: Unser Miteinander? Wird das eher positiv auf Heilungsprozesse wirken oder eher negativ? Ich glaube, es ist gerade viel im Umbruch und ich bin gespannt, wie wir das lösen werden.

Ganz konkret: Um welche Bereiche geht es da? Wo Sie wirklich Problemlagen?
Die Bereiche, wo ich Probleme sehe, sind die, die unser Verständnis vom Mensch an sich wirklich infrage stellen. Wenn ich jetzt als Gesellschaft beschließe zu sagen, ich möchte für mehr Sicherheit sorgen, dann ist da auch eine politische Agenda. Zum Beispiel: Ich möchte Täter, Täterinnen, die ich als aggressiv diagnostiziert habe, wo es Vorgeschichten gibt, vorab hemmen. Mittlerweile könnten wir das tun, bis zu einem gewissen Grad. Die Frage ist, sollen wir das tun? Was hat das für Folgen? Wie viel an freiem Willen erlauben wir uns und auch an freier Entscheidung des Anderen, zum Beispiel das Falsche zu tun? Wir sind ja immer sehr auf Freiheit erpicht, aber die hört dann ganz schnell auf. Jetzt gibt uns die Technik nochmal ganz andere Möglichkeiten, direkt einzugreifen und auch präventiv tätig zu sein. Das klingt sehr nach Science Fiction, aber es stellt natürlich interessante philosophische und ethische Fragen – auch des Zusammenlebens und wie wir füreinander sorgen wollen, wie viel Freiheit wir einander zugestehen. Und ich glaube, eine der wichtigen Fragen ist auch, wo wollen wir den Menschen wirklich hin entwickeln? Geht es da nur um Gesunderhaltung? Geht es um eine Optimierung, oder darum, Leistungsfähigkeit herzustellen? Das sind alles unbeantwortete Fragen . Und ich glaube auch nicht, dass es die Antwort darauf geben wird.

Freiheit bedeutet ja zu einem Teil auch Vielfalt und Unterschied.
Und wenn ich jetzt pränatal Kinder optimieren kann, dann ist das so gut und schön für die Kinder, die optimiert werden. Nur es gibt ganz viele, die das nicht haben. Wenn ich mir leisten kann, meinen Körper zu optimieren, haben andere das nicht und schaffe ich auf eine sehr dystopische Art und Weise eine möglicherweise Mehrklassengesellschaft. Und die hat dann weniger mit nur dem finanziellen Einkommen zu tun, sondern auch mit körperlichen Unterschieden.

Wir leben ja doch in einer Gesellschaft, die auf der einen Seite die Inklusion sehr hoch hält, auf der anderen Seite aber auch dieses Optimieren. Das ist ja doch ein Spannungsfeld.
Das ist ein ziemliches Spannungsfeld. Und das, glaube ich, wird auch bleiben. Die Frage ist, wie wird man mit Schwächen umgehen, die ja jetzt anders geframed sind. Aber wenn ich mir anschaue, welche Forschung betrieben wird, da geht es eher in Richtung, solche Problematiken auszulöschen oder inexistent zu machen, und nicht darum zu sagen, sie sind auch ein Teil einer Vielfalt. Was macht das, wenn ich den Eindruck erwecke, ich kann jegliches Leiden auslöschen, ich kann jeden Schmerz beseitigen. Ich glaube, eine große Frage ist diese Suche nach Sicherheit versus Freiheit und dieses Spannungsverhältnis zwischen Versprechungen und Verheißungen von Sicherheit und Schmerzfreiheit sowie Optimierung und dem, dass halt Leben oder auch Körperlichkeit sehr unkontrollierbar ist.

Da kommt ja auch ein bisschen künstliche Intelligenz ins Spiel, weil sich Intelligenz lebt ja auch auseinem Kontext und aus Erfahrungen nährt.
Ich glaube, Intelligenz braucht jetzt nicht unbedingt die Erfahrung, sie braucht viele Daten und kann extrem gut Muster erkennen. Ich glaube, was Sie meinen, ist eher diese Denkfähigkeit, die dann noch die Erfahrungen einbezieht und auch zum Beispiel einen sozialen Kontext erkennt. Es gibt eine gute Unterscheidung, auch im Philosophischen, zwischen klug, schlau und intelligent. Also intelligent im Sinne von Muster erkennen, klare Konklusionen machen. Dann gibt es die Schlauheit, in diesem Kontext auch gut zu agieren. Dazu muss man auch nicht unbedingt intelligent sein, aber man hat den Kontext durchschaut, man weiß, wie man sich verhalten muss und wie man für sich das Beste rausholt. Und dann wäre das Kluge: Also im Sinne von eine Entscheidung zu treffen, die abwägt. Also die weiß, in einem Bezug ist das jetzt die richtige Entscheidung, die könnte aber auch falsch sein.

Orten Sie da denn die Gefahr, dass der Mensch prekäre Entscheidungen, die ja im medizinischen Bereich auf allen möglichen Ebenen getroffen werden müssen, quasi outsourced, um sich schadlos halten?
Ich glaube, das ist höchst politisch. Also in dem Moment, wo ich das auslagern kann, muss ich mir im Klaren sein, dass das Ergebnis durchgerechnet am meisten Sinn macht. Das stimmt aber natürlich nicht, weil Sinn etwas ist, was unter leidensfähigen Wesen hergestellt wird. Wir bräuchten auch nicht Politik, wenn wir unsterblich wären, sondern wir brauchen sie, weil wir eben unterschiedlich sind, weil wir unterschiedliche Bedürfnisse, Leiden, Interessen haben und die müssen ausgehandelt werden. Sonst wären wir Maschinen. Eine Politik, die sagt, ich lasse mir das jetzt einfach rational durchrechnen, führt zu Ungeheuern. Zu medizinischen Experimenten, zu politischen Experimenten. Da können wir nicht nur den Nationalsozialismus hernehmen, da können wir auch gleich den Sowjetmarxismus reintun. Wo es heißt: Okay, das muss jetzt einfach sein, weil es sein muss. Ich glaube, da müssen wir aufpassen. Die Maschinen allein werden uns diese Entscheidungen nicht abnehmen. Es muss diese Diskussionen geben, auch wenn die Antworten nie vollständig und endgültig sein werden. Und wir müssen darauf schauen, dass die Handlungsmöglichkeiten weit bleiben.

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